„Kunst und Kreativität in der Pflege und Medizin sind meine Berufung“: Matthias, Beschäftigungstherapeut

Der studierte Künstler und ehemalige Dozent Matthias Glatzel ist sechs Stunden am Tag in unserer Kinderklinik unterwegs und beschäftigt sich mit den kleinen Patienten (auf dem Foto mit Jonathan). Dabei geht es ihm um eine Atmosphäre, in der freies künstlerisches Gestalten und Ausprobieren und Gespräche über die Sorgen und Träume der Kinder möglich sind. Da Matthias in Kürze in den Ruhestand geht, suchen wir eine *n Nachfolger *in für ihn.

Wie läuft Dein Arbeitsalltag ab?

Ich komme morgens auf die Station und verschaffe mir erstmal einen Überblick. Viele kleine Patienten sind nur zwei, drei Tage da, manche krankheitsabhängig auch länger. Immer wieder sind Kinder dabei, die ich von früheren Aufenthalten kenne. Aus dem Pflegeteam oder von den Ärzten kommen Vorschläge, welche Kinder Hilfe bräuchten, wo es Sinn machen würde vorbeizuschauen. Aber ich entscheide selbst. In den Fallkonferenzen mit Pflegenden und Ärzten ist meine Einschätzung zu den Fähigkeiten und zur Entwicklung der Kinder gefragt.

Was machst Du mit den Kindern?

Ich komme nicht mit einem konkreten Vorhaben à la „Wir basteln heute eine Laterne“. Ich habe Materialien dabei, Stifte, Schere, Kleber, Papier, aber auch Krankenhauszubehör wie Spritzen und Pflaster. Im Grunde gebe ich den Kindern einen Freiraum, um sich auszuprobieren. Der eine macht eine Gitarre aus Pappe, der nächste einen Kickertisch aus einem Schuhkarton, Strohhalmen und mit Fußballerfiguren aus Alufolie. Der dritte schaut sich die Krankenhausmaterialien, die ihn vorher vielleicht verängstigt haben, genau an und bastelt eine Rakete aus einer Spritze.

Wenn ihnen gar nichts einfällt, gebe ich Starthilfe. Mit wenigen Schnitten schneiden wir aus einem Blatt Papier einen kleinen Fuchs. Dann fragen wir uns: Was braucht der Fuchs? Die Kinder übernehmen eine Art Patenschaft für den Fuchs, bauen ihm eine Höhle, richten sie ein. Dann spielen wir mit den Figuren. Dabei erfahre ich sehr viel über die Kinder: Sind sie mutig oder zurückhaltend, was beschäftigt sie, was gibt ihnen Geborgenheit. Jeder bringt seine eigene Geschichte mit. Mit älteren Kindern bastele ich Figuren aus Gips. Aber manchmal reicht auch schon ein Gespräch über die Schule oder wir spielen Schach. Kinder mit Behinderung erreiche ich manchmal nur über spielerische Aktionen, Rhythmus und gemeinsames Singen.

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Wie schaffst Du es, die Kinder trotz ihrer Krankheit fröhlich zu stimmen?

Der Aufenthalt im Krankenhaus bietet eine Chance für gemeinsames Erleben. Den Kindern gelingt es oft besser, die neue Situation zu akzeptieren, als ihren Eltern. Auch wenn es seltsam klingt: So eine Krankheit hat auch positive Seiten für sie. Sie verbringen plötzlich sehr viel Zeit mit Mama und Papa, die sie vorher immer nur beim Abendbrot gesehen haben. Sie haben Zeit, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen und darüber zu sprechen, was sie beschäftigt. Und mit mir kreativ zu werden. Die Eltern sind manchmal total überrascht, welche gestalterischen Talente in ihren Kindern schlummern. Eine Mutter hat neulich zu mir gesagt: „Die kreative Arbeit bekommt im Krankenhauszusammenhang noch einmal eine ganz neue Bedeutung. Zu Hause kann ich mein Kind nicht zum Basteln animieren!“ Natürlich erlebe ich auch Kinder, die auch im Krankenhaus den ganzen Tag zocken oder fernsehen und länger brauchen, um sich auf andere Formen der Beschäftigung einzustellen.

Warum ist es für die Eltern schwerer?

Die Eltern machen sich Sorgen um die Gesundheit ihrer Kinder. Darum ist es wichtig, die Atmosphäre zu entspannen. Während ich mit den Kindern arbeite, bleiben die Eltern oft aus Interesse im Raum und beobachten, was wir gemeinsam machen. Manche halten es schwer aus, dass ihr Kind einfach ohne Ziel kreativ drauflos arbeitet. Manche mischen sich ein („So sieht doch kein Baum aus!“). Manche überraschen mich aber auch und gehen ganz toll mit der Erkrankung ihres Kindes um.

Wie bist Du zu Deinem Job als Beschäftigungstherapeut in der Kinderklinik gekommen?

Ich habe Visuelle Kommunikation studiert und war Dozent an der Universität der Künste. Als die Computer Einzug hielten, ging es mir auf einmal zu viel um Technik und zu wenig um künstlerisches Arbeiten mit Menschen. Darum habe ich in einer Werkstatt der Behindertenhilfe, später auch in einer Kita, mit erwachsenen Patienten in einer onkologischen Klinik und nebenbei als selbstständiger Künstler gearbeitet.

Das Thema Kunst und Kreativität in Pflege und Medizin wurde immer mehr zu meiner Berufung. In die DRK Kliniken Berlin kam ich im Rahmen eines Projekts. Als es nach einer Verlängerung auslief, gab es viele Briefe von Eltern, die die Krankenhausleitung darum baten, dass meine kreative Arbeit auf der Kinderstation sinnvoll ist. Und so bin ich seit 10 Jahren festangestellt.

Wie gewinnst du Abstand zur Arbeit?

Meist geht es in der Kinderklinik zum Glück nicht um kritische Situationen und lebensbedrohliche Krankheiten wie in der Onkologie, sondern um einen neu entdeckten Diabetes, einen Zeckenbiss oder eine Blasenoperation. Aber ich erinnere mich an einen kleinen Fußballer, der mit 12 Jahren zu stolpern anfing und die Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) erhielt. Das ist die Krankheit, die auch Stephen Hawking hatte. Innerhalb kurzer Zeit konnte der Junge nicht mehr sitzen und sprechen und starb zwei Jahre später. Das ist hart. Abstand dazu gewinne ich in meinem Atelier, in dem ich selber mit Leinwand und Farbe experimentiere.

In einem knappen Jahr gehst Du in Rente. Was möchtest Du Deinem Nachfolger mitgeben?

Ich schreibe Kinderbücher, male, habe genug zu tun. Aber ich werde den Kontakt mit den Kindern vermissen. Sie lehren Dich auch etwas über Dich selbst. Du kannst in diese Tätigkeit hineinwachsen, aber Du musst Menschen lieben. Du solltest Ideen mitbringen, aber Dich aus zurückhalten und den Kindern Raum geben können. Das Schönste ist, wenn die Pflegeteams erzählen, dass die Kinder gleich nach dem Aufwachen sagen, sie warten auf Dich.

Interview: DRK Kliniken Berlin/Maja Schäfer

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Maja_Schaefer, am 18. März 2021
Pädiatrie, Therapie
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