„Erwartungen an sich selbst kann man nicht immer erfüllen“: Psychologe Urs hilft Mitarbeiter:innen in Krisen - DRK Kliniken Berlin Jobs Karriere

„Erwartungen an sich selbst kann man nicht immer erfüllen“: Psychologe Urs hilft Mitarbeiter:innen in Krisen

Mitarbeiter:innen sind keine Maschinen, die immer wie gut geölt funktionieren. Sie sind Menschen, die beruflich und privat alles geben und auch mal nicht mehr können. In so einem Fall stehen unsere 16 Psychologen:innen, die sich hauptsächlich um somatisch oder neurologisch kranke Patienten kümmern, auch für die Kolleg:innen zur Verfügung. Im Interview erzählt Psychoonkologe Urs aus der Allgemeinchirurgie stellvertretend für das gesamte Psychologenteam, bei welchen Problemen er wie helfen kann.

Gibt es seit Corona mehr Anfragen von Mitarbeitenden als vorher?

Die Corona-Pandemie funktioniert wie ein Brennglas für bestehende Probleme. Wenn es in einem Team vorher schon Spannung gab, verschärfen sie sich jetzt. Wenn jemand im Privatleben Probleme hatte, werden sie jetzt größer. Insofern ist Corona selten die Hauptursache, sorgt aber dafür, dass wir Psycholog:innen im Moment viel auch für unsere Mitarbeiter:innen im Einsatz sind.

Mit welchen Problemen kommen Mitarbeitende auf Dich zu?

Es sind meist Teamkonflikte, Überlastung am Arbeitsplatz, traumatische Situationen auf der Arbeit oder private Belastungen. Zu den privaten Belastungen gehören Schwierigkeiten in der Partnerschaft, Konflikte mit den Kindern, Überforderung durch eine schwere Erkrankung eines Angehörigen, durch die sich ganze Familienkonstellationen ändern. Ich wurde aber auch schon auf Station gerufen, weil eine Abteilungsleiterin mit einer weinenden Mitarbeiterin zusammensaß, die im Nachtdienst Schlimmes erlebt hatte und sich nicht mehr beruhigen konnte.

Wie kannst Du dann helfen?

Während die Psycholog:innen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie oft sehr streng getaktete Tage mit einem Therapiegespräch nach dem anderen haben, sind vor allem wir Psychoonkolog:innen flexibler in der Planung. Es lässt sich nicht so genau vorhersehen, wann Patient:innen wieviel Hilfe brauchen. Das schafft die Möglichkeit, sich zeitnah um Anliegen zu kümmern, die dringend und wichtig sind. Und mir sind die Kolleg:innen wichtig!

Ich suche einen Raum, in dem der Mitarbeiter mit mir zusammentreffen kann, ohne dass die direkten Kollegen das mitbekommen, oder wir machen einen Spaziergang über das Gelände. Da ich mich sowieso ständig mit Angehörigen in Zivilkleidung treffe und unser Gelände sehr groß ist, gelingt es sehr gut, diese Treffen unauffällig zu veranstalten.

Ich kann keine dauerhafte Therapie anbieten, aber ich kann für Erstgespräche da sein. Manchmal reichen zwei, drei Gesprächen für das Anliegen aus, das kann ich begleiten. Oder ich diene als Überbrückung, bis ein Therapieplatz gefunden wurde.

Ich habe ein Netzwerk aus niedergelassenen Kolleg:innen und kann auch mal bei der Vermittlung von Therapieplätzen unterstützen, um Wartezeiten zu verkürzen. Oder ich vermittele an Selbsthilfegruppen oder Beratungsstellen.

Manchmal reicht es aber auch schon aus, wenn Mitarbeitende wissen, es gibt da einen Ansprechpartner, an den ich mich wenden könnte, wenn es schlimmer wird. Oft geht es erstmal darum zu verdeutlichen, dass es okay ist, psychische Belastungen oder Probleme zu haben und Hilfe zu suchen. Viele Menschen haben beruflich und privat hohe Erwartungen an sich selbst und es fällt ihnen schwer zu akzeptieren, dass sie diese Erwartungen jetzt mal eine Weile nicht erfüllen können. Nur weil man im Gesundheitswesen arbeitet, heißt das noch lange nicht, dass man gut darin ist, sich um sich selbst zu kümmern!

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Was kannst Du bei Teamkonflikten anbieten?

Bei Teamkonflikten hilft ja ein Coaching oder eine Supervision oft am besten, dafür bin ich nicht qualifiziert und habe zudem als langjähriger Mitarbeiter zu den Kolleg:innen hier am Standort nicht die dafür notwendige Distanz. Ich kann aber eine Konfliktmoderation anbieten. Dabei geht es darum, Gesprächsregeln festzulegen und darauf zu achten, dass sie auch eingehalten werden. Mit Vorwürfen kommen wir nämlich nicht weiter.

Ein solches moderiertes Gespräch ist erstmal ergebnisoffen. Es muss nicht unbedingt am Ende schon eine Konfliktlösung herauskommen. Erstmal geht es darum, den Kern des Problems festzunageln und auseinanderzudifferenzieren, auf welche Faktoren wir überhaupt Einfluss haben. Denn nur solche Faktoren können wir ändern. Andere gehören zu den strukturellen Rahmenbedingungen, an denen sich zumindest auf die Schnelle nichts ändern lässt und die erstmal akzeptiert werden müssen.

Welche konkreten Teamkonflikte hast Du schon betreut?

Ein Team findet zum Beispiel eine bestimmte Mitarbeiterin schwierig. Umgekehrt fühlt sie sich ausgegrenzt. Oder in einem Team kommen die älteren und jüngeren Mitarbeiter:innen nicht miteinander aus, es gibt den typischen Generationenkonflikt.

Jetzt in der Coronazeit hatte ich einen Fall, wo ein Team auseinanderdriftete, in dem es schon eine Vorgeschichte von Konflikten gab. Corona, Personalmangel, Leasingkräfte und andere Faktoren brachten noch mehr Spannungen und schließlich war bei allen der Kanal zu, die Stimmung im Keller, beim kleinsten Anlass wurde gemotzt.

Im Gespräch kam heraus, dass aufgrund der Hygienevorschriften gemeinsame Pausen nicht mehr möglich waren und man gar keine positiven Erlebnisse mehr miteinander teilen konnte. Nur noch Stress. So gewannen die Konflikte unverhältnismäßig viel Bedeutung und es gab kein ausgleichendes Gegengewicht mehr.

Wir haben dann die Idee gehabt, einen großen Raum außerhalb der Abteilung zu reservieren, in den mehr Personen unter Einhaltung der Abstandsregeln hinein durften als ins Dienstzimmer oder in die Teeküche. Der Auftrag lautete: Macht einfach mal zusammen in diesem Raum eine Pause – und zwar mit möglichst vielen Kolleg:innen gleichzeitig. Auf der Station sollte nur noch eine Notbesetzung verbleiben. Es ging nicht darum, während dieser Pause Konfliktgespräche zu führen, sondern einfach, Zeit zusammen zu verbringen und etwas Schönes zu erleben. Essen, quatschen, eine kleine Auszeit.

In unserem Unternehmen gibt es Seelsorger:innen, Gesundheitsmanager:innen und Psycholog:innen. Wer ist wann der richtige Ansprechpartner?

Es spielt keine Rolle, wo ein:e Mitarbeiter:in, die Hilfe braucht, zuerst andockt. Man kann einfach dorthin gehen, wo einem die Ansprechpartner am sympathischsten sind oder wo es am wenigsten Überwindung kostet. Wir kennen jeweils die Arbeit der anderen gut, denn wir haben verschiedene Schnittstellen. Zum Beispiel kommen die Seelsorgerinnen und die Psychologen in den Palliativbesprechungen zusammen. Daher können wir weiter verweisen, wenn wir denken, jemand anders kann besser helfen.

Alle drei Stellen unterliegen der Schweigepflicht, die bei Seelsorger:innen und Psycholog:innen mindestens so hoch ist wie bei Ärzt:innen. Die Gesundheitsmanager:innen können dagegen jedem individuellen Fall mehr Zeit widmen, weil sie ausschließlich für die Mitarbeiter:innen zuständig sind, während wir Psychologen und die Seelsorger hauptsächlich Patient:innen und deren Zugehörige zu betreuen haben.

Ist das psychologische Unterstützungsangebot für Mitarbeitende in den DRK Kliniken Berlin besser als anderswo?

Ich habe schon den Eindruck, dass wir in unserem gemeinnützigen Unternehmen mehr Spielraum haben als Psychologen in gewinnorientierten Häusern. Die Geschäftsführung steht ausdrücklich dahinter, dass wir auch für die Kolleg:innen da sind. Akute interne Angelegenheiten dürfen auch mal Vorrang vor dem Tagesgeschäft haben.

Wie schaltest Du eigentlich persönlich ab, nachdem Du auf der Arbeit den ganzen Tag Konflikte moderierst oder Trauergespräche führst?

Abschalten habe ich im Studium gelernt. Als Einzelfallhelfer hatte ich damals einen Fall, der mich emotional total überforderte. Ein erfahrener Therapeut hat mich beiseite genommen und gesagt: Wenn Du nicht schnellstens lernst, eine Trennlinie zwischen Patient:innen und Privatleben zu ziehen, dann kannst Du Dein Studium gleich an den Nagel hängen. Da habe ich mich mit dem Thema Abschalten beschäftigt und gelernt, wie ich es hinbekomme. Vieles ist inzwischen auch Routine und nimmt mich nicht mehr so mit.

Ansonsten liebe ich die Natur, gehe mit meinen Hunden spazieren oder spiele mit ihnen, fahre Fahrrad. Das ist eine sehr gute Methode, um nach der Arbeit abzuschalten: mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren. Ich koche, backe und singe gerne, habe verschiedene Ehrenämter. Und ich habe zum Glück zu Hause auch jemanden, der auf mich aufpasst und mir auf die Finger klopft, wenn das Privatleben zu kurz kommt.

Natürlich gelingt mir das Abschalten besser, wenn im Privatleben alles glatt läuft, und es wird schwieriger, wenn ich zu Hause selber viele Baustellen habe. Aber ich fühle mich in meinem Arbeitsumfeld wirklich wohl. Ich erlebe nicht nur Konflikte, sondern auch viele schöne, berührende Momente. Momente, in denen ich selbst etwas lernen kann. Ich finde es zum Beispiel beeindruckend, Zeuge zu werden, wenn Menschen wenige Wochen oder Tage vor ihrem Tod noch enorme Entwicklungsschritte machen. Wenn sie eine innere Gelassenheit finden und für mich ein Rollenmodell werden, von dem ich mir unbedingt eine Scheibe abschneiden möchte.

Hast Du noch eine abschließende Botschaft an unsere Kolleg:innen in Not?

Kommt einfach auf uns zu, keine Frage ist „zu blöd“, um gestellt zu werden, jedes Anliegen wichtig!

Text: DRK Kliniken Berlin / Maja Roedenbeck Schäfer

Auch unsere Gesundheitsmanager:innen kümmern sich um Deine Bedürfnisse! Was sie vom höhenverstellbaren Stuhl bis zum Englischkurs schon alles umgesetzt haben, erzählen sie hier.

Maja_Schaefer, am 06. Januar 2022
Gesundheit, Westend
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