„Eine halbe Stunde früher zum Mittagessen“: Matthias, Bürokaufmann in der Unternehmenskommunikation

Matthias arbeitet seit 1998 bei den DRK Kliniken Berlin. Nachdem er im Alter von 15 Jahren erblindet war, ohne dass dafür ein Grund gefunden werden konnte, war er in Behandlung bei einem damaligen Professor in unserer Kinderneurologie am Standort Westend. Der meinte, wenn er ihn schon nicht heilen könne, werde er ihm wenigstens einen Job besorgen. Zum 9. Deutschen Diversity-Tag erzählt Matthias über seine Laufbahn als Mitarbeiter mit Beeinträchtigung in unserem Unternehmen und seinen Nebenberuf als Heilpraktiker.

Wie hat Deine berufliche Karriere begonnen?

Es war natürlich nicht so toll, als Teenager, wenn man eigentlich nach den Mädels gucken möchte, plötzlich mit so einer Beeinträchtigung konfrontiert zu sein. Meine Eltern haben mir damals sehr geholfen. Ich habe ein Jahr Pause gemacht, um die Blindenschrift und den Umgang mit dem Gehstock zu lernen. Dann habe ich an einer Blindenschule in Berlin-Steglitz meinen Realschulabschluss und sogar das Abitur nachgemacht.

Danach war die Frage, welche Berufsausbildung für mich infrage käme. Ich hätte Korbflechter oder Bürstenbinder in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung werden können, aber das wollte ich nicht. Es gab in Berlin eine Ausbildungsmöglichkeit für Blinde zum Masseur, aber da ich auch Probleme mit meinen Füßen habe und nicht lange stehen kann, ging das nicht. So blieb nur die Ausbildung zum Bürokaufmann an der Schule für Menschen mit Sehbehinderung.

Warst Du mit dieser Lösung zufrieden?

Ich war zumindest froh, dass ich in der Ausbildung intellektuell gefordert war, denn das war mir wichtig. Die Arbeit im Büro ist vielseitig. Eigentlich wollte ich „was mit Menschen“ machen. Der Beruf des Masseurs hätte gut zu mir gepasst. Bevor ich erblindet bin, wollte ich sogar Medizin studieren.

Aber es hat sich dann alles eigentlich ganz gut gefügt. Ich arbeite Vollzeit in der Verwaltung eines Klinikverbundes – da setze ich mich ja auch für Menschen ein. Eine Zusage für einen Job in der Senatsverwaltung für Justiz habe ich abgelehnt, weil er befristet und mir dann doch zu weit weg von meinen eigentlichen Wünschen war.

Außerdem hast Du Deine Träume ja sozusagen nebenberuflich umgesetzt…

Ja, ich habe nebenbei eine Ausbildung als Heilpraktiker gemacht. Nach Feierabend ab 17 Uhr und samstags vormittags biete ich Termine für Hypnose, Psychotherapie und Shiatsu an. Meine Behandlung hilft gegen leichte Depressionen, Angstattacken oder Zwangsneurosen.

Wegen Corona sind einerseits Shiatsu Kunden weggebrochen, andererseits haben die Ängste der Menschen und damit meine Hypnosetermine zugenommen. Viele Kunden sagen, als Blinder würde ich besser tasten und Zwischentöne im Gespräch heraushören, weil ich mich im Alltag auch auf das Hören und Tasten konzentrieren muss. Also langweilen tue ich mich nicht.

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Welche Stationen hast Du während Deiner 23 Jahre bei den DRK Kliniken Berlin durchlaufen?

Angefangen habe ich in der Telefonzentrale und dort 17 Jahre lang Anrufer in die richtigen Abteilungen vermittelt. Dann wurde ich Sekretär der Kaufmännischen Leitung und habe ihre Termine geplant und Veranstaltungen organisiert.

Vor zwei Jahren wurde ich in der Unternehmenskommunikation aufgenommen und kümmere mich seitdem dort um unseren Podcast „Rezeptfrei“, das Reputationsmanagement (also Google Bewertungen) und alles, was sonst so anfällt. Der Podcast passt gut zu mir, weil ich als Kind schon selber Hörspielkrimis aufgenommen habe. Und ich höre auch viele Podcasts, weil das einfacher ist als in Blindenschrift zu lesen.

Welche Hilfsmittel hast Du für die Arbeit bekommen?

Ich habe eine Braille (Blindenschrift) Zeile und eine Sprachausausgabe am Keyboard, damit kann ich alles lesen, was auf dem Bildschirm steht. Es wird mir vorgelesen. Diese Spezialtechnik wird vom Arbeitsamt beziehungsweise der Rentenversicherung gestellt. In all den Jahren habe ich nur positive Erfahrungen gemacht: Wenn ich Geräte brauchte, hatte ich freie Hand bei der Auswahl.

Gab es auch mal Schwierigkeiten für Dich als Mitarbeiter mit Sehbehinderung bei uns?

Ich wäre eigentlich gerne im Sekretariat der Kaufmännischen Leitung geblieben und war sehr traurig, als meine Chefin das Unternehmen verließ und es für mich dort nicht weiterging. Und klar gibt es immer Situationen, wo ein Sehender etwas im Raum stehen lässt, worüber ich dann stolpere.

Einmal habe ich mich am Auge verletzt, weil ein Stuhl verschoben wurde, einmal hatte ich eine Platzwunde wegen einer halb offenen Tür. Aber zum Glück arbeite ich ja im Krankenhaus und werde immer gleich gut versorgt.

Was würdest Du sehenden Menschen gerne erklären?

Das Leben als Blinder ist schwierig und Sehende denken oft nicht an unsere Bedürfnisse. Andererseits habe ich gelernt, dass Menschen hilfsbereiter sind als man denkt. Meine Kollegen Marie und Frank in der Unternehmenskommunikation kümmern sich super um mich. Und wenn ich draußen unterwegs bin, habe ich zu 90 Prozent positive Erlebnisse, wenn ich zum Beispiel jemanden nach dem Weg frage.

Es gibt natürlich auch Menschen, die mir über die Straße helfen, obwohl ich gar nicht rüber will. Da wäre es schon schöner, wenn man gefragt würde. Ich mag es auch nicht, ungefragt angefasst und irgendwo hingezogen oder geschubst zu werden. Ich weiß, der Helfende ist einfach nur unsicher und versucht sein Bestes, aber fragt mich doch einfach, was ich brauche!

Wie findest Du, gehen die DRK Kliniken Berlin mit Mitarbeitern mit Beeinträchtigung um?

Ich bin seit 1,5 Jahren Vertreter für Menschen mit Behinderung für einen Teil unseres Unternehmens und kümmere mich darum, dass die betroffenen Mitarbeitenden Schwerbehindertenausweise bekommen, berate sie zu Themen wie Gleichstellungsanträgen und Kündigungsschutz und bin persönlich mit der Geschäftsführung und dem Betriebsrat im Austausch dazu, damit alles funktioniert. Es geht da aber eher um bürokratische Dinge als um das Seelenwohl.

Es gibt keine Diversity Workshops oder Gruppen für Menschen mit Behinderung. Aber Vielfalt im Unternehmen bedeutet für mich auch nicht, dass es extra Angebote für besondere Zielgruppen gibt. Denn dadurch werden sie ausgegrenzt. Diversity bedeutet, dass Mitarbeitende mit besonderen Bedürfnissen ganz normal behandelt und in die Teams integriert werden. Die Kollegen aus der Unternehmenskommunikation gingen zum Beispiel vor Corona mit mir eine halbe Stunde früher zum Mittagessen in die Kantine, weil es für mich einfacher ist, wenn es dort nicht so voll ist. Das ist gelebte Vielfalt.

Interview: DRK Kliniken Berlin/Maja Schäfer

Foto: DRK Kliniken Berlin / Daniel Flaschar

Maja_Schaefer, am 19. Mai 2021
Diversity, Verwaltung
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