„Einen besseren Ort für LGBT+ Personen schaffen“: Pflegefachkraft Bella aus der Rettungsstelle

Pflegefachkraft Bella arbeitet in unserer Rettungsstelle und gehört zur LGBT+ Community, die aus LGBT+ Personen und deren Unterstützenden („Allies“) besteht (*Definition siehe unten). Aus Eigeninitiative entwickelt Bella ein Konzept, „um die Rettungsstelle zu einem besseren Ort für LGBT+ Personen zu machen“ – egal ob behandelnde Teammitglieder oder zu behandelnde Person. Zum 9. Deutschen Diversity-Tag berichten wir im Karriereblog darüber.

Warum braucht die Rettungsstelle ein Konzept zum Umgang mit Diversität?

Deutschland ist eines der Länder mit dem größten geouteten LGBT+ Bevölkerungsanteil der Welt, schon deswegen sollten wir uns entsprechend verhalten und weiterbilden. Leider passieren im Gesundheitswesen viele Fehler im Umgang mit LGBT+ Personen. Neulich wurde eine Patientin auf eine andere Station verlegt. Sie ist eine Transfrau, deshalb sagt man korrekt „Frau“, „die Patientin“  oder „sie“ zu ihr. Die Kollegys haben aber in der Übergabe immer wieder „er“ gesagt.

Da habe ich mich eingeschaltet und erklärt, dass es nicht schwer ist, jemanden, der transgeschlechtlich ist (das Zuweisungsgeschlecht stimmt nicht mit der Geschlechtsidentität überein), richtig anzusprechen. Gerade wir als Pflegekräfte kennen uns doch mit dem menschlichen Körper und der Gesundheit aus und es ist unsere Aufgabe, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Menschen wohlfühlen. Mit ein bisschen Übung ist es kein großer Aufwand, die richtigen Pronomen zu verwenden. Für die betroffenen Menschen macht es aber einen großen Unterschied.

Das beschriebene Erlebnis ist leider kein Einzelfall. Mit einer Kollegin unterhielten wir uns über verschiedene Familienkonzepte. Leider hält sie eine Familie nur dann für „richtig“, wenn diese aus Mutter, Vater und Kindern besteht. Dies hat mich sehr traurig gestimmt, da es impliziert, dass homosexuelle Paare, alleinerziehende Eltern und so weiter keine „richtigen“ Familien sind.

Laut den Grundsätzen der internationalen Rotkreuzbewegung sind wir zu Unparteilichkeit und Neutralität allen Menschen gegenüber verpflichtet. Das können wir nur gewährleisten, wenn wir an uns arbeiten, um Fehler wie die oben beschriebenen zu erkennen und in Zukunft zu vermeiden. Wenn sowas bei anderen Kollegys auffällt, finde ich es sehr wichtig, es anzusprechen.

Wie geht man denn besser mit solchen Situationen um?

Wir hatten neulich eine Person mit männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen, die zur Gynäkologin musste. Durch einfachen Fragen wie „Mit welchen Pronomen möchten Sie angesprochen werden? Wie kann ich die Situation angenehmer für Sie machen?“ hat sich die Person in dieser Situation wohler gefühlt und war deswegen sehr dankbar.

Vor zwei Wochen erst hatten wir eine transgeschlechtliche Patientin in der Rettungsstelle. Da sie vor ihrer Transition schon einmal bei uns gewesen war, hatte unsere Krankenhaussoftware sie noch als Mann abgespeichert. Ich habe versucht, das zu ändern, das ging aber technisch nicht. Also habe ich zumindest das getan, was ich in der Situation tun konnte: einen Vermerk für die IT Abteilung hinterlassen, dass das Geschlecht der Person geändert werden muss, und den neuen Vornamen eingetragen. Denn den abgelegten Vornamen zu verwenden, ist ein absolutes Tabu.

Als ich der Patientin Blut abnahm und ihr Schmerzmittel gab, habe ich ihr erklärt, dass sie im heutigem Behandlungsbericht mit „Herr Sonja Schmidt“ [Name von der Redaktion geändert] angeschrieben werden wird, weil ich in unserer Software das „Herr“ und „Frau“ nicht einfach tauschen kann. Dass dies aber im Nachhinein von der IT-Abteilung geändert werden wird. Allein, dass ich mein Möglichstes getan und das Problem wahrgenommen habe, hat schon geholfen.

Möchtest Du mit Bella in unserer Rettungsstelle am Standort Westend arbeiten? Dann bewirb Dich hier als Krankenpfleger / Kinderkrankenpfleger / Krankenschwester (w/m/d) in der Notaufnahme im Kunstkrankenhaus!

Und was macht man, wenn man sich mit dem Genderthema nicht so auskennt?

Manche Menschen sagen: Woher soll ich wissen, wie man damit umgeht? Das Thema Diversität ist wirklich sehr breit, darum gibt es ja ganze Studiengänge dafür, zum Beispiel Gender Studies! Andere Menschen wollen gar nichts damit zu tun haben und benutzen lieber weiter das generische Maskulinum. Was zwar einfacher erscheint, aber leider viele Probleme verstärkt. Darum ist es wichtig, sich zu informieren und gegenseitig auf Fehler oder elegantere Lösungen aufmerksam zu machen. Das klappt doch auch, wenn es zum Beispiel um die Umwandlung von Pflegestufen in Pflegegrade geht! Wir unterstützen uns gegenseitig.

Auch sollten Geschlechtsidentität und Sexualität nicht tabuisiert werden. Sie sollten Gegenstand von Diskussionen in der Ausbildung und in Weiterbildungen sein. Die Begriffe schwul und lesbisch ist den meisten geläufig. Transgeschlechtlichkeit ist schon komplizierter, das kennen eher Personen, die mit dem Thema schonmal in Berührung gekommen sind oder sich drüber informiert haben. Aber es gibt auch nonbinäre Personen, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen, oder als Person ohne Geschlecht. Es gibt viele Unterschiede beim Geschlecht. Dieser Begriff ist in der deutschen Sprache mehrdeutig. Es gibt zum einen das Geschlecht (Englisch „sex“), das einem bei der Geburt zugewiesen wird und dabei nicht mit dem häufig sogenannten biologischen Geschlecht übereinstimmen muss. Und zum anderen gibt es das Geschlecht (Englisch „gender“), zu dem Menschen sich selbst zuordnen, was häufig auch als Geschlechtsidentität bezeichnet wird.

Es gibt zum Beispiel aromantische lesbische Transfrauen. Das wäre eine Person, der bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, die sich aber selbst als Frau definiert, sexuell auf Frauen steht, aber keine romantische Beziehung eingehen möchte.

Welche Maßnahmen schlägst Du in Deinem LGBT+ Konzept für die Rettungsstelle vor?

Ich finde, wir brauchen einen „Genderbeauftragty“ beziehungsweise einen Diversität Manager, der sich mit dem Genderthema auskennt und Fortbildungen dazu anbietet.

Ich habe schon viele Ideen gesammelt, manche sind einfacher, manche schwerer umzusetzen. Eine der leichteren Ideen wäre, dass alle Pflegekräfte in der Rettungsstelle Buttons am Kasack tragen, auf denen steht, mit welcher Berufsbezeichnung sie angesprochen werden wollen. Ich persönlich möchte zum Beispiel nicht mit „Krankenschwester“ angesprochen werden. Ich stelle mich Patientys mit folgenden Worten vor: „Ich bin Bella, Ihre Pflegefachkraft“. Das schafft vor allem für LGBT+ Menschen, die die Rettungsstelle besuchen, einen Raum, in dem sie ihre Pronomen ohne Angst vor Missverständnissen äußern können.

Eine andere Idee, die ich versuchen möchte zu etablieren, sind Austauschgruppen. Die sind in Amerika schon weiter verbreitet. In diesen Gruppen können sich Mitglieder der LGBT+ Community und deren Unterstützerys treffen, um Probleme zu besprechen und weitere Ideen zu entwickeln. Dabei hat jeder die Möglichkeit, anonym zu bleiben oder selber zu bestimmen, wem gegenüber man sich wie weit outen möchte. Als Beispiel kann sich die Person in der Gruppe outen, muss es jedoch nicht im Team tun oder nimmt einfach erstmal als Ally teil.

Zuletzt ist es sehr wichtig, unsere Grundsätze aktuell zu gestalten und ein Zeichen zu setzten. Anerkennung von sexueller und geschlechtlicher Diversität ist leider immer noch nicht darin verankert.

Was soll mit Deinem Konzept passieren?

Natürlich hoffe ich, möglichst viele dieser Ideen sinnvoll umsetzen zu können! Meine Abteilungsleiterin weiß, dass ich an einem Konzept arbeite und warum mir das Thema wichtig ist. Sie hat mir zugesagt, sich das Konzept anzusehen und die Umsetzbarkeit zu prüfen. Außerdem bekomme ich Unterstützung von der Kreativwerkstatt der DRK Kliniken Berlin, wo ich Ehrenmitglied bin.

Wer außer Bella noch in unserer Notaufnahme arbeitet? Na, Julia, Christine und Esin zum Beispiel! In diesem Blogartikel stellen sie sich vor.

Warum bist Du eigentlich Pflegefachkraft geworden?

Eigentlich wollte ich Medizin studieren, aber mein Abitur ist nicht 1,0. Zuerst war die Pflege nur eine Übergangslösung. Aber seit ich in dem Beruf arbeite, mag ich die Arbeit sehr und bin stolz diesen Beruf auszuüben, auch wenn er vor allem zu Zeit nicht immer leicht ist! Im Moment habe ich keinen Druck, das Medizinstudium zu beginnen. Aber irgendwann werde ich mich weiterentwickeln wollen.

Wie gehst Du im Familien- und Kollegenkreis mit Deiner Zugehörigkeit zur LGBT+ Gruppe um?

Ich gehe sehr offen damit um, dass ich zur LGBT+ Community gehöre. Wenn ich Personen vertraue, gehe ich mehr ins Detail, jedoch meist mit Menschen, die ich als meine Freunde betrachte. Ich spreche gerne sowohl bei der Arbeit als auch im Privaten über dieses Thema.

Meine Eltern verstehen es bis heute nicht richtig, aber ich habe eine transgeschlechtliche Tante und einen homosexuellen Onkel als Ansprechpartnerys in meiner Familie und viele queere Freundys oder Freundys, die Allies sind.  Außerdem nutze ich das Internet gerne, um mit gleichgesinnten Menschen in Kontakt zu treten oder in Kontakt zu bleiben, was gerade in Zeiten von Corona sehr wichtig ist, da Treffen schwierig sind, um füreinander da zu sein.

Bist Du auch außerhalb der Arbeit in der Szene aktiv?

Oh ja, sehr. Zum Beispiel fahre ich heute nach dem Dienst zu einer Demonstration für TIN Rechte (Trans, Inter und Nicht-Binäre Rechte) vor dem Bundestag! Aber auch sonst bin ich mit vielen queeren Leuten vernetzt und engagiere mich sehr leidenschaftlich und häufig.

*Anmerkungen von Bella

Die geläufigste Abkürzung LGBT+ stammt aus dem Englischen und steht für: lesbisch, schwul, bisexuell und transgeschlechtlich. Das + steht für alle weiteren Formen der geschlechtlichen Identität, der sexuellen und der romantischen Orientierung, wie zum Beispiel: queer, intergeschlechtlich, pansexuell, abinär (nicht-binär), asexuell und -geschlechtlich. Viele dieser Begriffe beschreiben wiederum ein facettenreiches Spektrum.

Die in diesem Artikel beschriebene Einschätzung beruht auf der subjektiven Meinung und Erfahrung der Pflegekraft Bella zum Zeitpunkt April 2021. Im Interview wird auf geschlechtsneutrale Begriffe geachtet oder nach Phettberg entgendert, um alle Menschen einzuschließen, egal welche Geschlechtsidentität sie haben. Dieses Interview soll ein Anstoß für alle sein, sich mehr mit Geschlecht und Sexualität zu befassen und schneidet dabei viele Themen an, die leider aus Zeitgründen nicht weiterausgeführt werden können. Es wäre toll, wenn ihr Lesenden Begriffe, die ihr nicht kennt, online nachschlagt und euch zu diesem Thema selbständig weiterbildet und sensibilisiert!

Interview: DRK Kliniken Berlin/Maja Schäfer

Bild: pixabay.com

Maja_Schaefer, am 20. Mai 2021
Diversity, Notaufnahme
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