„Es gibt keinen Grund, sich zu verstecken“: Michael, Abteilungsleiter in der Gastroenterologie

Vom Dachdeckergesellen zum pflegerischen Abteilungsleiter in der Gastroenterologie an unserem Standort Mitte: Michael hat eine bemerkenswerte berufliche Laufbahn hingelegt. In unserem Karriereblog spricht er zum 9. Deutschen Diversity-Tag über seine Erfahrungen als homosexueller Mitarbeitender in der Pflege und seinen entspannten Umgang mit dem Thema. Damit möchte er dem Nachwuchs Mut machen, Vielfalt offen zu leben.

Wie bist Du beruflich in die Pflege gekommen?

Ich habe zuerst die Ausbildung zum Dachdeckergesellen in der Firma meiner Familie gemacht. Ich habe bereits mein Schulpraktikum dort gemacht und mit 16 schien es sinnvoll, auch die Ausbildung in der Dachdeckerei zu machen. Zu dem Zeitpunkt wusste ich einfach noch nicht, was ich wirklich beruflich machen wollte.

Doch dann kam der Zivildienst, den ich in einem Krankenhaus absolvierte. Ich war zwar hauptsächlich in der Küche, für Bestellungen und Ordnungsdienste eingeteilt, habe aber auch in der Pflege ausgeholfen. Mir machte es Spaß, älteren Menschen zu helfen. Diese Erfahrung war der Auslöser, mich dann schließlich für die Pflegeausbildung zu entscheiden. Ich habe damals etwa vierzig Bewerbungen geschrieben! Das waren noch andere Zeiten. Eigentlich ist es noch gar nicht so lange her, aber es hat sich wahnsinnig viel getan.

War Deine Familie nicht traurig, dass Du den Familienbetrieb verlassen hast?

Natürlich hätte sich die Familie gefreut, wenn ich das Unternehmen weitergeführt hätte. Aber es war auch für alle mehr als nachvollziehbar, dass ich mich nicht dauerhaft in einem handwerklichen Beruf gesehen habe. Alle haben ja mitbekommen, wie viel Begeisterung ich seit dem Zivildienst für den Pflegeberuf entwickelt hatte.

Auch wenn ich nicht mehr bei Wind und Wetter „raus aufs Dach“ muss, habe ich mir in der Pflege natürlich kein gemütlicheres Berufsfeld ausgesucht. Aber die Dankbarkeit der Patienten wiegt allen Stress auf. Die Menschen sind einfach super gerührt über die Wertschätzung, die wir ihnen entgegenbringen, sei es bei der Unterstützung in der Ernährung oder bei der Körperpflege. Es ist schön, ein Lächeln zurückzubekommen.

Von 2006 bis 2009 habe ich schließlich die Ausbildung in den DRK Kliniken Berlin gemacht. Danach habe ich ein halbes Jahr in unserer Pflegeeinrichtung in Mariendorf gearbeitet, bis am Standort Mitte eine passende Stelle für mich frei wurde. 2012 ergab sich die Möglichkeit, stellvertretender Abteilungsleiter zu werden. Diese Chance baute sich sogar noch weiter aus und ich wurde Abteilungsleiter in der Gastroenterologie.

Unser Thema ist heute der Diversity Tag: Haben Pflege und Homosexualität überhaupt etwas miteinander zu tun?

In vielen anderen Branchen oder Firmen wird das Thema Diversity intensiver aufgegriffen. Mein Mann arbeitet bei einem großen Online-Modehandel. Als eine der größten Firmen Berlins hat sich sein Arbeitgeber des Themas Diversity voll und ganz angenommen. In ihrer Werbung zeigt die Firma unter dem Motto „Here to stay“ bewusst die Vielfalt des Lebens, dazu gehören neben (Homo-)Sexualität auch kulturelle und demographische Vielfalt. Es gibt auch eine eigene Abteilung für „Diversity & Inclusion“, die sich um diese Themen auch innerhalb der Belegschaft und auch beim Recruiting kümmert.

Soweit sind wir in „traditionelleren Branchen“ wie dem Gesundheitswesen noch nicht. Als die Anfrage von euch kam, ob ich meine Geschichte erzählen möchte, habe ich erst abgesagt und gedacht, ich will nicht der homosexuelle Vorzeigemitarbeiter sein. Bei einem Fernsehabend habe ich aber noch einmal überlegt: In der aktuellen Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ nimmt eine Transgender-Kandidatin teil. Im Interview äußerte sie, dass sie nicht als erste Transgender-Frau gewinnen will, sondern einfach nur als Frau. Dieses Statement hat mich angeregt, auch meine Sicht auf das Thema zu äußern.

Du kannst Dir Michael gut als Chef vorstellen und möchtest gerne in seinem Team arbeiten? Bewirb Dich hier als Krankenpfleger / Krankenschwester (w/m/d) in der Gastroenterologie an unserem Standort Mitte!

Und wie ist Deine Sicht auf das Thema Vielfalt in der Pflege?

Diversität gehört zu uns Menschen. Die Pflege hat neben den fachlichen Aufgaben auch immer mit Menschen zu tun. Das heißt, Pflege hat natürlich auch etwas mit Homosexualität zu tun, auf der Seite der Pflegenden sowie auf der Seite der Patienten. Wir sind ja alle Menschen.

Ich finde es wichtig, Diversität offen an- und auszusprechen. Allerdings möchte ich auch, dass das Thema normalisiert wird. Unsere Gesellschaften haben sich enorm weiterentwickelt und das ist toll. Viele veraltete Rollen- und Berufsbilder wurden in den vergangenen Jahren aufgebrochen. Die Pflege ist kein rein weiblicher Beruf mehr. Es gibt mittlerweile sehr viele Männer im Pflegeberuf, einige davon sind schwul, einige hetero und manche sind etwas anderes.

Irgendwann sollte das alles ganz normal sein. So normal, dass man vielleicht keine Diversity-Abteilung braucht. Aber bis es soweit ist, lasst uns offen darüber sprechen – am Diversity Tag und auch an allen anderen Tagen.

Welche Erfahrungen hast Du als homosexueller Pfleger im Berufsleben gemacht?

Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht. Ich habe nie Gewalt, Ausgrenzung oder Ablehnung aufgrund meiner Homosexualität erlebt. Weder als Dachdecker, noch im Pflegeberuf. Meine Familie wusste es schon früh, daher gingen wir immer offen – quasi normal – damit um.

Für mich war es immer so, dass ich offen über mein Leben spreche, so wie alle anderen Kolleg*innen auch. Ich erinnere mich an eine meiner ersten Nachtschichten, in der eine Kollegin unverblümt fragte: „Mensch Micha, jetzt mal Butter bei die Fische: Stehst du eigentlich auf Männer?“ Ich fand es gut, dass sie keine Scheu hatte, diese Frage zu stellen. Und ich sollte keine Angst haben, offen zu antworten. Denn es gibt keinen Grund, sich zu verstecken.

Diese offene Teamkultur behalte ich seither bei. Auch wenn neue Auszubildende in der Übergabe dabei sind und man einander etwas Privates erzählt, spreche ich ohne großes Aufheben von meinem Mann. Unser Standort Mitte der DRK Kliniken Berlin ist ohnehin sehr divers. Wir haben Mitarbeitende vieler Kulturen, Altersgruppen und es sind auch queere Personen darunter. Durch einen ganz entspannten Umgang mit der eigenen Diversität, versuche ich meinen Teil beizutragen, dass Diversität „ganz normal“ wird.  Ich bin ein Mann, der einen anderen Mann liebt. Letztendlich bin ich ein Mensch, der einen Menschen liebt.

Bist Du gegenüber den Patienten genauso offen?

Generell halte ich es so, dass ich Patienten nur wenig Privates erzähle. Sie erzählen mir ihre Geschichten und auch Sorgen, aber umgekehrt wahre ich eine professionelle Distanz. Wenn jemand sagt: „Grüßen Sie Ihre Freundin“, sage ich: „Mach ich“. Und wenn sie fragen, ob ich Kinder habe, sage ich: „Nein, noch nicht.“ Für mich steht die professionelle Pflege im Vordergrund und nicht die Aufklärungsarbeit.

Jemand, der Homosexualität kulturell- oder generationsbedingt verurteilt oder nicht akzeptiert, muss nicht in einer Pflegesituation belehrt werden. Es hängt aber durchaus von der individuellen Situation ab. Wie schon erwähnt, trage ich meinen Teil zur Aufklärung bei, in dem ich im Kolleg*innenkreis offen über mein Leben spreche. Andere engagieren sich da mehr, das tue ich nicht.

Wie findest Du den Umgang unseres Unternehmens mit dem Thema Diversity?

Als Arbeitgeber könnten wir uns offener präsentieren, um auch dem Nachwuchs zu zeigen, wie divers nicht nur die Pflegebereiche sind, sondern auch die Menschen, die darin arbeiten.

Vor drei Jahren habe ich vorgeschlagen, die DRK Kliniken Berlin mit einem Truck auf dem Christopher Street Day zu zeigen. Die Idee bekam positiven Zuspruch und auch ein Budget stand zur Verfügung. Die Ressourcen für die Umsetzung beruhten aber auf Freiwilligenbasis. Für mich hätte das geheißen, die Projektleitung zu übernehmen. Das war mir neben meiner Tätigkeit als Abteilungsleiter etwas zu viel.

Diversity-Projekte müssen professionell von der Unternehmenskommunikation oder einem Diversitybeauftragten durchgeführt werden, das kann man nicht neben der Arbeit machen.

Das Thema „Diversität“ passt zu unserem Unternehmen und ich freue mich, dass wir einen so offenen Umgang leben und pflegen. Vor allem an einem kleinen Standort mit flachen Hierarchien wie hier in Mitte ist es schön und wichtig, dass alle Mitarbeitenden sie selbst sein können.

Interview: DRK Kliniken Berlin/Maja Schäfer

Foto: DRK Kliniken Berlin / Daniel Flaschar

Maja_Schaefer, am 17. Mai 2021
Diversity, Gastroenterologie
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