„Der Job in einem Rotkreuz-Unternehmen ist eine tolle Referenz“: Roman, IT-Servicetechniker aus der Ukraine

Roman aus der Ukraine kam im März 2022 wegen des Krieges nach Berlin und brachte seine Frau und vier Kinder mit. Seit Dezember 2022 arbeitet er als IT-Servicetechniker bei den DRK Kliniken Berlin. In diesem emotionalen Interview spricht er über seinen Werdegang, seine Träume, seine Familie, die Flucht aus der Ukraine und den Neuanfang in Deutschland. Unten geht’s auf Deutsch weiter und hier geht’s zur englischen Textversion.

Was hast Du vor dem Krieg gemacht?

Bis zum Beginn der Pandemie war ich IT-Direktor eines Reisebüros in Kiew. Aber das Reisebüro musste wegen der Pandemie schließen, und ich fand einen neuen Job als IT Service Engineer in einer Hühnerfabrik im Dorf Grigorovka, 100 km von Kiew entfernt. Ich sage gerne „Hühnerfabrik“, weil jeder lächelt, wenn ich das tue, aber es ist eigentlich ein großes Agrarunternehmen namens MHP und ihr ukrainisches Hühnerfleisch wird sogar in deutschen Supermärkten verkauft.

Ich bin mit meiner Frau und meinen vier Kindern nach Grigorovka gezogen. Meine Frau ist Krankenschwester und hat in einem Geburtshaus in Kiew gearbeitet und sich vor allem um Frühgeborene und Mütter gekümmert, die nicht genug Milch hatten, um ihre Babys zu ernähren. Als wir aufs Land zogen, wurde sie Oberschwester, Familientherapeutin und Masseurin im Erste-Hilfe-Zentrum des Dorfes. Sie war die einzige Krankenschwester im Umkreis von 20 km. Sie hatte viel zu tun und manchmal kamen Patienten sogar nachts zu uns nach Hause, weil ihnen sonst niemand helfen konnte.

Unsere Kinder gingen auf eine Waldorfschule, denn als die Älteste, Sofia, heute 16 Jahre alt, eingeschult wurde, arbeiteten die staatlichen Schulen in der Ukraine noch nach sowjetischer Tradition. Sie förderten weder Kreativität noch freies Denken. Deshalb haben wir uns entschieden, die Kinder auf eine Waldorfschule zu schicken. Ich war Vorsitzender des Elternbeirats und nahm an internationalen Treffen mit der Waldorfgemeinschaft in Ländern wie Deutschland, Ungarn, Lettland und Italien teil.

Warum hast Du Dich entschieden, nach Deutschland zu kommen?

Der Krieg kam sehr unerwartet. Es ist nicht wie in einem Film, wo jeder versteht, was passiert. An einem Tag tranken wir noch mit unseren Freunden Kaffee, am nächsten Tag waren wir mitten im Krieg. Wir kauften viele Lebensmittelvorräte, um vorbereitet zu sein. Die Raketen und Flugzeuge flogen sehr tief über dem Boden, sie waren sehr laut und jedes Mal, wenn es passierte, dachtest Du, sie hätten es auf Dich abgesehen. Aber unser Dorf war ziemlich sicher. In Kiew habe ich die Ergebnisse des russischen Raketenbeschusses gesehen. Es war die Zeit, als russische Panzer Brovari, Gostomil, Bucha und Irpin erreichten.

Ich machte mir Sorgen um das Leben meiner Familie und die Bildung meiner Kinder. Wir setzten uns mit meiner Frau, meiner älteren Tochter und meinen Eltern zusammen und sprachen darüber, was wir tun sollten. Dann bekam ich zwei Briefe von deutschen Freunden aus der Waldorfgemeinde. Ein Schreiben des Geschäftsführers der Berliner Freien Waldorfschule und ein weiteres von einem Vorstandsmitglied der Stiftung Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners. Sie sagten, sie würden uns helfen, wenn wir nach Deutschland kämen. Mit diesem Wissen und angesichts der Tatsache, dass meine Kinder in der Schule Deutsch als Zweitsprache lernten, war es eine leichte Entscheidung, nach Deutschland zu gehen.

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Wie ist euch die Flucht aus der Ukraine gelungen?

Die erste Aufgabe war, Benzin für unser Auto zu finden, denn es war fast keins verfügbar. Die zweite Aufgabe bestand darin, sich für eine Route zu entscheiden. Der schnellste Weg von Kiew nach Deutschland ist 1000 km durch Polen auf der Jitomirska-Straße, aber wir wussten, dass es auf dieser Straße viele russische Panzer gab. Wir entschieden uns für eine andere Route über Moldawien, Rumänien und Ungarn, die 3000 km lang ist. Eine gute Entscheidung, denn auf der kürzeren Strecke wurde auf einige Autos – auch mit Kindern drin – geschossen. Es war schrecklich.

Wir brauchten 15 Stunden, um mit unserem kleinen Auto 400 km von Kiew bis zur moldawischen Grenze zu fahren. Es war für fünf Personen gebaut, aber wir waren sechs und hatten Gepäck mit, also war es eng. Es gab viele Straßensperren. An einem Punkt hatten wir fast kein Benzin mehr. Es ist wirklich ein Wunder, dass wir eine Tankstelle gefunden haben, die tatsächlich noch Benzin verkaufte. Wer weiß, ob uns jemand geholfen hätte, wenn uns das Benzin ausgegangen wäre.

An der Grenze mussten wir 12 Stunden warten, weil so viele Menschen das Land verlassen wollten. Viele Kriegsflugzeuge flogen über den Autos und die Sirenen machten großen Lärm. In Moldawien ließen uns Freiwillige für eine Nacht in ihrem traditionellen moldawischen Dorfhaus schlafen. Es war schön warm, was gut war, weil es draußen schneite. Am nächsten Morgen fuhren wir weiter und hatten einen Unfall, weil ich immer noch so müde war. Die Frontscheibe des Autos ging zu Bruch, aber wir konnten nach Rumänien weiterfahren.

Ich rief einige Leute aus der Waldorfgemeinschaft an und sie ließen uns ein paar Tage in ihren Häusern in Timishuara (Rumänien) und in der Nähe des Plattensees (Ungarn) wohnen, bis unser Auto repariert war. Dann fuhren wir weiter nach Berlin, wo wir zehn Tage nach unserer Abreise aus Kiew ankamen. Wir waren extrem müde. Die ganze Zeit unterwegs hatte ich versucht, etwa 30 Eltern der Kiewer Waldorfschule, die mit ihren Familien auch die Grenze überquert hatten, zu erreichen und sie mit Waldorfschulvertretern in anderen europäischen Ländern, Großbritannien, Capri und den USA in Kontakt zu bringen.

Wie verlief euer Neustart in Deutschland?

Wir wohnten einige Monate bei unseren Freunden Friedrich und Magdalena. Sie halfen uns bei der Registrierung und mit anderen Dokumenten. Und vor allem haben sie unsere Kinder für Schule und Kindergarten angemeldet. Ende März gingen die Kinder in die Schule. Nach sechsmonatiger Suche fanden unsere Freunde ein kleines Haus in der Nähe des S-Bahnhofs Zehlendorf, das wir mieten konnten. Es war ein echtes Wunder! Es ist ein altes Haus, aber sehr schön und warm. Leider will der Vermieter das Haus im Herbst renovieren, sodass wir im August oder September 2023 ausziehen und uns eine andere Bleibe suchen müssen. Wenn jemand einen Tipp für uns hat, sind wir dankbar!

Meinen ersten Job in der IT in Berlin fand ich bei einem englischsprachigen Unternehmen namens KNIME. Sie entwickeln Software zur Analyse von Big Data und hatten ein Projekt für Flüchtlinge gestartet. KNIME und der Inhaber Michael Berthold haben mir und anderen sehr geholfen. Etwa sieben ukrainische Flüchtlinge wurden für sein Projekt eingestellt und erhielten sechs Monate lang Arbeit. Da war ein Mädchen, das als UA/UX-Designer arbeitete, und ein Typ, der als Chirurg in der Ukraine gearbeitet hatte, in Deutschland schnell seinen Abschluss machte und Business Analyst wurde! KNIME half bei den Dokumenten, die wir brauchten, um in Deutschland arbeiten zu dürfen.

Unsere internationalen Mitarbeiter*innen haben immer interessante Geschichten zu erzählen. Schaue Dir hier unser Interview mit Neil an, unser Pflegefachmann aus den Philippinen!

Wie bist Du zu Deinem Job bei den DRK Kliniken Berlin gekommen?

Nach einem halben Jahr musste ich mir einen neuen Job suchen, 200 Bewerbungen verschicken und hatte 20 Vorstellungsgespräche. Als ich die Stellenanzeige der DRK Kliniken Berlin gefunden habe, hat sie mir sehr gut gefallen, denn da war ein Foto von Daniel Schmidt und seinem Team und alle haben gelächelt. Es fühlte sich sehr einladend an. Die Karriere-Website war auch viel schöner als die Websites anderer Unternehmen. Als Daniel mich anrief, sagte ich: Ich habe Dein Foto gesehen! Und er sagte, dass ich einen interessanten Lebenslauf und Erfahrungen in englischsprachigen IT-Unternehmen habe und lud mich zu einem Vorstellungsgespräch ein. Ich bin Daniel Schmidt, Benjamin Lehman und dem gesamten IT-Team sehr dankbar, dass sie sich bereit erklärt haben, mich in den ersten drei Monaten beim Deutschlernen zu unterstützen. Während ich lerne, kommunizieren wir auf Englisch.

Meine Aufgabe ist es, neue Arbeitsplätze mit Laptops und Computern einzurichten, neue Software auf PCs zu installieren, Netzwerkkabel zu pflegen, Konfigurationen durchzuführen und vieles mehr. Wir müssen Speicherkarten in Laptops wechseln, Drucker und Scanner reparieren und einrichten, Druckertreiber in Citrix und Windows 10 aktualisieren. Meine Kollegen sind sehr nett. Mohamed und Lars erklären mir alles, sie bringen mir viel bei. Sie sind echte „IT-Gurus“ und machen ihre Arbeit sehr gut. Für mich ist alles leicht verständlich, weil es die gleiche Microsoft-Software und die gleichen Geräte sind, mit denen ich in der Hühnerfabrik gearbeitet habe. Am 5. Januar habe ich mit dem Deutschunterricht begonnen und bald muss ich abends noch einen Integrationskurs machen, was nach acht Stunden Arbeit sehr anstrengend sein wird.

Was sind Deine Sorgen, Träume und Pläne für die Zukunft?

Für mich ist alles gut, denn ich habe schon vor dem Krieg Fremdsprachen gelernt, bin gereist und habe andere Länder gesehen. In der Hühnerfabrik haben wir gut strukturiert gearbeitet wie in deutschen Betrieben. Alle kamen pünktlich und wurden sehr gut angeleitet. Ich habe also keine allzu großen Anpassungsprobleme. Was meinen Job angeht, habe ich einen Zweijahresvertrag. In ein paar Monaten, nachdem ich meine Deutschkurse beendet habe, möchte ich meinem Teamleiter einige Vorschläge unterbreiten.

Ich arbeite gerne in einem großen Unternehmen, weil das bedeutet, dass man viel zu tun hat. Außerdem ist das Rote Kreuz international bekannt und die Arbeit für ein Rotkreuzunternehmen wird eine großartige Referenz in meinem Lebenslauf sein. Langfristig denkend möchte ich IT-Administrator werden und schließlich ein Team leiten. Ich stelle mir vor, dass ich in zehn Jahren IT-Leiter oder Schulleiter einer Waldorfschule bin. Aber jetzt muss ich jeden Tag hart und mit viel Liebe arbeiten, um Ärzten und Krankenschwestern zu helfen, die das Leben von Patienten retten!

Und wie kommt Deine Familie klar?

Der Umzug nach Deutschland hat mir viel Energie gegeben. Bei meiner Familie ist das anders. Meine Frau muss ihren Abschluss als Krankenschwester von den deutschen Behörden anerkennen lassen und einen Anpassungskurs machen, bevor sie arbeiten kann. Glücklicherweise bot das Bildungszentrum der DRK Kliniken Berlin Hilfe an. Es ist ihr wichtig, Arbeit zu finden, denn wenn Frauen zu lange mit einem Baby zu Hause sind, werden sie depressiv. Vor allem, wenn sie sich ständig Sorgen machen müssen, eine neue Wohnung zu finden, Deutsch zu lernen, dass hier alles so teuer ist, Ärzte zu finden, … Wir mussten einen neuen Zahnarzt finden, weil der erste nicht gut war. Für meine Frau ist es eine sehr große Umstellung.

Außerdem machen wir uns ein wenig Sorgen um unseren 12-jährigen Sohn Darii. Wir hoffen, dass seine Lehrer ihm helfen, sich schnell anzupassen und Deutsch zu lernen, neue Freunde und eine Fußballmannschaft zu finden. Ich freue mich, dass es meiner älteren Tochter Sofia gut geht. Sie geht in die 10. Klasse der Waldorfschule, hat Freunde, ihr Deutschniveau ist A2. Sie ist sehr engagiert in ihrem Unterricht und in Schulprojekten. Und die Kleinen – der 2-jährige Radomyr und der 5-jährige Svyatoslav – lernen auch sehr schnell Deutsch.

Vermisst Du die Ukraine?

Ja, ich vermisse ganz besonders Kiew, meine Freunde, unser Dorf und unsere Ziegen! Unser Dorf liegt an einem sehr schönen Ort am Ufer des Flusses Dnipro auf der Halbinsel Trachtemyriv, 100 km von Kiew entfernt. In Grigorovka hatten wir eine kleine Ziegenfarm. Es war die Idee meiner Tochter Sofia. Sie wollte schon immer Tiere haben. Zuerst kauften wir drei Ziegen. Dann gaben uns die Nachbarn ihre zu versorgen und sie bekamen Babys und am Ende hatten wir mehr als 20 Ziegen und produzierten unseren eigenen Käse. Ziegen sind sehr intelligente Tiere, wie Hunde. Sie springen auf und ab und folgen Dir, wenn sie Dich mögen. Wir mussten sie bei unseren Freunden lassen und ich vermisse sie. Aber andererseits… Das Leben im Dorf Grigorovka ist im Sommer schön. Im Winter, wenn die Straßen matschig sind und man Brennholz schlagen muss, ist das nicht mehr so ​​schön. Ich bin froh, dass ich jetzt hier in Berlin bin.

Aber ich vermisse meine Freunde und Kollegen bei MHP und versuche sie einmal die Woche anzurufen. Nachdem ich mein erstes Gehalt in Deutschland bekommen hatte, begann ich, meine Freunde zu unterstützen, die als Soldaten in der Ukraine kämpfen. Ich vertraue darauf, dass die Ukraine und die europäische Zivilisation dieses Jahr gewinnen werden und niemand mehr in einem Krieg sterben wird, den keiner braucht!

Interview: DRK Kliniken Berlin / Maja Roedenbeck Schäfer

Maja_Schaefer, am 20. Januar 2023
Internationals, IT
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