„Ich betrachte mich als Kulturbotschafterin“: Dilek, Abteilungsleiterin in der Gefäßchirurgischen Ambulanz - DRK Kliniken Berlin Jobs Karriere

„Ich betrachte mich als Kulturbotschafterin“: Dilek, Abteilungsleiterin in der Gefäßchirurgischen Ambulanz

Als Dilek, heute 43 Jahre alt, im Jahr 1996 als Auszubildende bei den DRK Kliniken Berlin anfing, war sie die einzige Mitarbeiterin mit Kopftuch. Es gab andere muslimische Frauen im Unternehmen, aber sie kamen unverhüllt zur Arbeit. Ohne zu ahnen, dass es so kommen würde, hat Dilek, die inzwischen Abteilungsleiterin in der Gefäßchirurgischen Ambulanz ist, uns mit ganz viel Engagement den Weg in die Vielfalt geebnet. Zum 9. Deutschen Diversity Tag erzählt sie im Karriereblog davon.

Wie war der Einstieg als erste praktizierende Muslima in unser Unternehmen für Dich?

Ich habe mich ganz bewusst für ein Unternehmen, das zum Roten Kreuz gehört, entschieden, weil mir die DRK Grundsätze gefielen. Ich dachte, wenn ich mich irgendwo wohlfühlen werde, dann bei einem Arbeitgeber, der sich Neutralität und Unparteilichkeit zur Aufgabe gemacht hat.

Von Anfang an waren die Kolleg*innen sehr interessiert und ich wurde mit Fragen bombardiert. Wenn ich irgendwo auf eine neue Station kam, hieß es: „Ach, Du bist das, wir haben schon viel von Dir gehört!“ Das bekommen andere Auszubildende wohl nicht so oft zu hören.

Neugier finde ich gut und stehe gerne Rede und Antwort, schade war nur, dass immer das Klischee von der unterdrückten Muslima mit Kopftuch bedient wurde. Im Vorstellungsgespräch kamen Fragen wie die, ob mein Vater mir denn erlauben würde, männliche Patienten zu waschen oder nach 20 Uhr vom Dienst nach Hause zu kommen. Dabei bin ich in Deutschland geboren und meine Eltern haben mich zu einer selbstbewussten, emanzipierten Frau erzogen.

Ich weiß nicht, wie oft ich schon die Aussage gehört habe: „Dilek, Du bist ja ganz anders als Du aussiehst.“ Oder: „Du sprichst ja richtig gut Deutsch, Du berlinerst ja sogar!“ Das ist positiv gemeint, aber es ist schade, dass ich mit Kopftuch nicht nach einer erfolgreichen Frau aussehe. Denn ich mag mein Kopftuch, es gehört zu meiner Identität. Ich hasse es wirklich, wenn ich in eine Kategorie gesteckt werde, bevor man überhaupt mit mir gesprochen hat. Und dass so sehr nach Äußerlichkeiten geurteilt wird.

Welche Situationen hast Du als Muslima in der Pflege erlebt?

Es gab Patienten wie auch Kollegen, die gesagt haben: „Wie toll!“ und solche, die gesagt haben: „Oh Gott!“, wenn sie mich gesehen haben. Es kam vor, dass ein Patient sich von mir nicht versorgen lassen wollte. Da habe ich erwidert: „Dann haben Sie jetzt ein Problem, denn ich bin die einzige Kraft, die jetzt Zeit für Sie hat. Entweder Sie lassen mich professionell meine Arbeit erledigen oder Sie müssen sehr lange warten, bis eine andere Pflegekraft kommt.“ Die anderen Patienten im Mehrbettzimmer haben mir beigestanden und gesagt: „Lass sie doch machen!“ Als ich dann im Berliner Dialekt antwortete, entspann sich sogar ein richtig gutes Gespräch.

Eine andere Patientin störte sich an meinem Kopftuch, sie selbst trug aber einen echten Pelzmantel. Ich sagte zu ihr: „Ich finde es auch nicht gut, wie Sie sich kleiden, aber ich muss das akzeptieren. Bitte akzeptieren Sie auch meine Kleidung.“ Wieder andere Patienten sind sehr dankbar, zum Beispiel wenn sie auch Muslime sind und ich ihnen eine rituelle Waschung im Krankenbett ermögliche oder ein sauberes Laken auf den Boden lege, damit sie auf einem angemessenen Untergrund beten können.

Und welche Situationen hast Du mit Kollegen erlebt?

Viele sind hungrig nach Wissen über andere Kulturen und freuen sich, endlich auf Augenhöhe mit jemandem darüber sprechen zu können. In meinen 25 Jahren in der Pflege hat sich vieles verbessert. Aber es gibt auch Leute, die lange gebraucht haben, um mit mir warm zu werden. Und es gibt auch heute noch junge Menschen, die aus der Provinz zur Ausbildung nach Berlin kommen und mit der kulturellen Vielfalt hier überfordert sind.

Während meiner Ausbildung wurde ich von einer Oberärztin im Patientenzimmer diskriminierend behandelt, sie wurde aber auch zur Rechenschaft gezogen und ist nicht mehr hier. Wenn Mitarbeiter ein Problem mit meinem Kopftuch hatten, habe ich gesagt: „Das Kopftuch ist mein Privatbereich, bitte nimm mich als vollwertige Kollegin wahr und lass uns sehen, dass wir irgendwie den Dienst zusammen überstehen. Ich werde mich nicht rechtfertigen, bewerte mich nach meiner Arbeit.“

Oft hilft es aber auch, eine offene und lockere Atmosphäre zu schaffen mit den Worten: „Jetzt erzähl mal, was sind denn Deine Ängste und Vorurteile gegenüber Frauen mit Kopftuch? Was kann ich, außer mein Kopftuch abzunehmen, tun, damit es Dir leichter fällt, mit mir zu arbeiten?“

Welche positiven Erfahrungen hast Du gemacht?

Ich habe auch viele schöne Dinge erlebt: Zum Beispiel konnten nach der Ausbildung nur zwei Auszubildende übernommen werden, es gab noch keinen Pflegekräftemangel. Die damalige Pflegedienstleiterin ist mit Fotos von uns zu den Abteilungsleitungen gegangen und hat abstimmen lassen, wer die begehrten Jobs bekommen sollte. Und sie haben für mich gestimmt! Es gab zwar auch dazu einen blöden Kommentar von einer Azubi-Kollegin, aber für mich ging es von da an nach einer anstrengenden Ausbildung nur noch aufwärts.

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Wie engagierst Du Dich für Vielfalt in den DRK Kliniken Berlin?

Ich habe mich immer als Kulturbotschafterin gefühlt und zwar gleich in drei Rollen: als Deutsche mit Migrationshintergrund, als praktizierende Muslimin und als Ausländerin mit deutscher Muttersprache. Ich habe mich schon viele Stunden über meine Arbeitszeit hinaus engagiert, habe Infomaterialien kostenlos ins Türkische übersetzt, beim Infotag auf Türkisch einen Vortrag über Gefäßkrankheiten gehalten, den ich lange vorbereitet habe. Und ich habe das sehr gern getan! Ich habe mich auch für ein überlebensgroßes Foto auf unserem LKW zur Verfügung gestellt.

Ich will mich jetzt freiwillig für einen Instagram Takeover melden und für interkulturelle Workshops würde ich auch zur Verfügung stehen. Die Teams sollten lernen, Andersartigkeit mitzudenken. Mein Team hat seine Weihnachtsfeier zum Beispiel traditionsgemäß im Haxnhaus gemacht. Dort gab es nur Gerichte mit Schwein. Zwei Jahre bin ich mitgegangen und habe versucht, auf dem Buffet etwas Vegetarisches zu finden, weil ich kein Schweinefleisch esse. Dann habe ich zu den Kolleg*innen gesagt: „Können wir nicht mal woanders hingehen?“ Mein damaliger Chef hat ein türkisches Restaurant gefunden, in dem es Fleisch und Alkohol gab, für die, die es wollten, aber eben auch für mich mehr Auswahl.

Ich finde, es gäbe noch mehr Dinge, die das Unternehmen für uns Muslime tun könnte. Zum Beispiel könnte man zum Ramadan eine Meldung ins Intranet stellen: „Wir wünschen allen muslimischen Kolleg*innen ein schönes Ramadan Fest!“ Genauso wie man auch Weihnachtsgrüße versendet. Es wäre eine nette Geste und kostet nichts. Andere Kliniken machen das längst und auch Angela Merkel schickt Grüße an die muslimischen Bürger in Deutschland. Das nenne ich mal gelebte Vielfalt.

Welche muslimischen Bräuche außer Deinem Kopftuch integrierst Du noch in den Arbeitsalltag?

Meine Gebete und jetzt aktuell, da wir im Ramadan Monat sind, das Fasten. Aber zum Glück ist der Islam da gar nicht so streng wie viele glauben, sondern bietet viele Möglichkeiten, um die Bräuche in den Alltag zu integrieren. Wenn ich mich körperlich nicht gut fühle, weil ich auf der Arbeit sehr viel Stress habe, muss ich nicht fasten. Wenn ich es einrichten kann, bete ich in der Pause. Ich habe eine Kompass-App, die mir dir Richtung nach Mekka anzeigt. Wenn wenig Zeit ist, gibt es aber auch Kurzformen der Gebete und den Rest kann ich abends zu Hause nachholen. Es gab schon lustige Situationen, in denen ich mich nach Mekka verbeugend auf einem Gebetsteppich kniete und ein Oberarzt hereinplatzte.

Einfach ist es nicht. Mir bringen die Gebete nichts, wenn ich sie einfach nur schnell herunterrassele. Ich muss in eine spirituelle Stimmung kommen, damit ich daraus Kraft schöpfen kann. Das gelingt manchmal weder in der Mittagspause, noch zu Hause, wo meine Familie meine Aufmerksamkeit fordert.

Was bedeutet Dein Glaube für Dich?

Ich glaube an eine höhere Kraft, ob man sie nun Allah oder Gott nennt. Mein Glaube gibt mir Halt, ist ein Wegweiser und bietet Gemeinschaft. Aber ich interessiere mich auch für die Kraft von Edelsteinen, Aromatherapie, und auch Psychotherapie kann eine Hilfe sein, um mit den Tücken des Lebens klarzukommen.

Ich nehme mir selber die Freiheit, meinen Glauben zu leben, aber ich ermögliche sie auch anderen. Wir hatten auch mal einen Buddhisten im Team, den habe ich selbstverständlich seine Meditation durchführen lassen. Wenn er dadurch entspannter und zufriedener bei der Arbeit ist, ist es doch super! Das erhöht die Mitarbeiterbindung. Mir ist nur wichtig, dass andere Kolleg*innen keine Mehrarbeit dadurch haben. Bei mir zählt Leistung. Wer Leistung bringt, bekommt auch Freiheiten.

Apropos Leistung, Du hast ja in unserem Unternehmen richtig Karriere gemacht…

Meine Mutter war auch Krankenschwester und ich musste als Kind nach einem Unfall mit einer Gabel häufig am Auge operiert werden und Zeit im Krankenhaus verbringen. Diese beiden Erfahrungen haben meinen Wunsch geweckt, in die Pflege zu gehen. Lernen ist ein lebenslanger Vorgang, immer mit Hinblick auf die so genannte Salutogenese, das gaben mir meine Eltern auf den Weg. Der Mensch ist Mitgestalter seiner Umwelt.

Obwohl ich drei Kinder habe, zwei davon Zwillinge und eins pflegebedürftig, habe ich immer Vollzeit gearbeitet und mich berufsbegleitend weitergebildet. Zuerst bin ich Praxisanleiterin geworden. Die erste richtige Führungsposition, die mir angeboten wurde, war die Rettungsstelle, aber das war mir zu kurz nach der Geburt der Zwillinge. Die Gefäßchirurgie habe ich dann angenommen. Das war nochmal eine ganz neue Erfahrung. Die Basis ist heute in vielen Unternehmen vielfältig, Muslime sind keine Seltenheit mehr. Aber je höher man kommt, desto mehr muss man sich beweisen. Die Anschläge vom 11. September haben die Vorurteile nochmal schlimmer gemacht, ich musste praktisch wieder von vorne anfangen.

Ich hätte es ohne Kopftuch in meiner Karriere viel einfacher haben können. Es gab Bewerbungsgespräche in anderen Unternehmen, da wurde mir gesagt, wenn ich es ablege, bekomme ich die Stelle „wahrscheinlich“. Aber ich habe gedacht: „Dilek, Du hast jetzt 25 Jahre gekämpft und Aufklärungsarbeit gemacht. Jetzt gibst Du nicht auf.“ Andererseits gab es auch schon mehrere Versuche, mich abzuwerben, insofern wird gesehen, was ich leiste. Aber ich bleibe bei den DRK Kliniken Berlin.

Welche Tipps würdest Du Gesundheitsunternehmen geben, die Diversität vorantreiben möchten?

Achtet darauf, wem ihr die Aufklärungsarbeit zutraut. Nicht jeder Türke hat Vermittlungskompetenzen. Nicht jeder türkische Praktikant, der in Deutschland geboren ist, kann gut genug Türkisch, um einem Patienten die Details zu seiner Erkrankung korrekt zu erklären.

Und zweitens: Betrachtet interkulturelle Missverständnisse in den Teams nicht als Problem, sondern als „Entwicklungsaufgabe“. Und fordert die Mitarbeitenden auf, selbst Lösungen zu finden. Diversität ist eine Bereicherung auf allen Ebenen, wir können alle davon profitieren.

Interview: DRK Kliniken Berlin/Maja Schäfer

Foto: DRK Kliniken Berlin / Daniel Flaschar

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Maja_Schaefer, am 18. Mai 2021
Diversity, Gefäßmedizin, Rotkreuzschwestern
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