Dem ehemaligen Leistungssportler, Tourismusmanager und Immobilienmakler Manuel wurde es im Ruhestand zu langweilig, und so hat er bei den DRK Kliniken Berlin eine neue Aufgabe gefunden: Er kümmert sich um unsere ausländischen Pflegekräfte am Standort Westend und unterstützt sie bei den kleinen und großen Herausforderungen der Arbeitsmigration. Warum es nichts bringt, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun, erzählt er im Interview.
Meine Ehefrau ist Italienerin und nach dem Renteneintritt sind wir zunächst nach Italien gezogen. Dort haben wir in unserer Wohnung auf Capri gelebt, doch nach einer Weile ist mir die Decke auf den Kopf gefallen. Auf dieser wunderschönen Insel ist außerhalb der Saison wenig los. Und als ehemaliger Hochleistungssportler bin ich einfach zu aktiv, es hat mich gedrängt, wieder etwas zu machen. Ich möchte am Leben teilhaben und nicht nur Zuschauer sein. Und ich habe gerne mit Menschen zu tun. Wir sind also nach Berlin zurückgekehrt und meine Frau hat mir den Rat gegeben, mir eine Teilzeitbeschäftigung zu suchen, damit ich eine Aufgabe habe, die mich befriedigt.
Im Internet habe ich eine Stellenanzeige der DRK Kliniken Berlin gesehen, in der eine Aushilfe für administrative Tätigkeiten gesucht wurde. Das Vorstellungsgespräch bei Pflegedienstleiterin Martina Parow lief gut, und so habe ich im Oktober 2021 in der Pädiatrie angefangen, Patient*innenakten zu bearbeiten. Aus der befristeten dreimonatigen Beschäftigung wurden sechs Monate, denn auch auf der Intensivstation und einer weiteren Station gab es einen Aktenstau. Im Frühjahr kam Martina Parow dann mit einer Idee auf mich zu: Ob ich mir vorstellen könnte, eine andere Aufgabe in ihrem Team zu übernehmen, nämlich als eine Art Ausländerbeauftragter oder Integrationscoach unsere ausländischen Mitarbeiter*innen zu betreuen. Ja, dazu hatte ich Lust!
Ich unterstütze die Pflegekräfte hier am Standort Westend, die wir in einer Gruppe aus Kolumbien nach Deutschland geholt haben, aber auch einzelne Pflegekräfte aus Simbabwe, Nepal, Bosnien-Herzegowina und Serbien beim Ankommen in Deutschland. Ich bearbeite Visaangelegenheiten, organisiere Termine beim Bürgeramt z.B. zur Wohnungsanmeldung und für Anträge für erweiterte Führungszeugnisse, unterstütze bei der Wohnungssuche, bei der Einrichtung von Bankkonten, der Anmeldung bei der Krankenversicherung und vieles mehr. Dahinter steckt sehr viel Arbeit, besonders bei Personen, die nicht aus der EU kommen. Denn dort sind die Genehmigungsverfahren umfangreicher und komplizierter.
Ich bin Anlaufstation für jede Art von Fragen: Wie finde ich einen Hausarzt? Wie buche ich einen Arzttermin über doctolib? Montags bis donnerstags bin ich von 7.30 bis 15.00 Uhr auch ohne Termin ansprechbar. Auch kümmere ich mich um das Thema Sprachkurse. Unsere kolumbianischen Pflegekräfte haben zwar bereits in Kolumbien ein kostenloses Angebot als Vorbereitung auf die so genannte B2-Prüfung bekommen, doch haben es kaum angenommen. Darum haben wir hier in Deutschland einen weiteren Sprachkurs als Präsenzkurs am Standort Westend organisiert, der aus unserer Sicht nicht ganz zufriedenstellend verlief. Einige kamen ab und zu zu spät, andere erschienen teilweise gar nicht, wieder andere waren unkonzentriert oder führten Nebengespräche auf Spanisch.
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Die größte Herausforderung ist es, die internationalen Fachkräfte auf die geforderte Eigenständigkeit vorzubereiten. Anfangs versteht man natürlich ihre Hilflosigkeit, wenn sie frisch in Deutschland ankommen und sich nicht auskennen. Aber wenn man jemanden hat, der sich um einen kümmert, besteht die Gefahr, dass man sich dahinter versteckt. Wir haben für viele ausländische Mitarbeitenden die ersten Unterkünfte beschafft, allerdings nur mit einem befristeten Mietvertrag. Anschließend mussten sie sich selbstständig um neue Wohnungen bemühen. Dabei unterstütze ich zwar weiterhin, nehme mich aber durchaus etwas zurück. Manche Wünsche muss ich auch rundheraus ablehnen. Eine Person fragte, ob ich helfen könne, ihren Laptop bei ebay zu verkaufen. Aber das ist nun wirklich nicht meine Aufgabe.
Ein weiteres Thema ist das Heimweh nach der Familie. Viele sind verheiratet und haben Kinder, die sie gerne nachholen möchten. Aber das packen sie am falschen Ende an. Sie suchen gleich nach einer großen Wohnung, die sie sich von ihrem aktuellen Pflegehelfergehalt noch gar nicht leisten können und auch nicht vermietet bekommen würden. Ich muss immer wieder erklären, dass es mit dem Nachholen der Familie überhaupt kein Problem ist, wenn der Anpassungskurs und der B2-Sprachkurs erfolgreich absolviert wurden, die Anerkennung als vollwertige Pflegefachkraft erreicht ist und das Gehalt steigt. Möbel von IKEA sind auch nicht so billig wie man denkt. Aber zuerst muss man sich auf die Qualifikation konzentrieren, damit man nicht durch die Prüfungen fällt. Denn man hat in Berlin nur zwei Chancen. Wer zweimal durchgefallen ist, muss das Bundesland verlassen und in einem anderen Bundesland nochmal ganz von vorne anfangen. Da entsteht ein großer Druck.
Im Bereich Pflege, Krankenhaus oder internationales Recruiting bin ich ein Quereinsteiger und muss mir viel Wissen erst aneignen. Aber ich habe langjährige Berufserfahrung in der Reise- und Immobilienbranche und das hilft mir jetzt. Durch meine guten Beziehungen konnte ich Wohnungen beschaffen und die befristeten Mietverträge noch einmal verlängern, sodass die internationalen Pflegekräfte mehr Zeit haben, sich selbst eine Wohnung zu suchen.
Durch meine Zeit in Italien weiß ich, was es heißt, in einem anderen Land zu leben – mit Sprachdefizit und allem, was dazugehört. Ich kann mich also gut in die Kolleg*innen aus Kolumbien und anderen Ländern hineinversetzen. Durch meine Lebens- und Berufserfahrung kann ich vorausschauend denken und proaktiv eingreifen, wenn sich Probleme anbahnen. Durch meine italienischen Verwandten und Bekannten habe ich eine Affinität zu den Südländern, ich kenne ihre Kultur.
Es gibt Dinge, die mich enttäuscht haben, zum Beispiel dass der Sprachkurs nicht gut angenommen wurde. Da geht man einfach nicht hin, weil man sich gestresst fühlt. Wir bieten wirklich sehr viel Unterstützung, aber manchmal wird das nicht gesehen. Dabei arbeite ich ja hier mit erwachsenen, lebenserfahrenen Menschen, nicht mit jungen Auszubildenden, denen man die ein oder andere Naivität vielleicht nachsehen würde. Ich verstehe es gerade vor meinem Hintergrund als Sportler nicht, warum man nicht konsequenter ist, wenn man doch ein klares Ziel hat, das man erreichen will. Letztendlich ist es aber nicht nur eine Kultur- sondern auch eine Typfrage. In Deutschland gibt es ja auch „Streber“ und „Sitzenbleiber“.
Du hast eine abgeschlossene Pflegeausbildung oder ein Pflegestudium im Ausland absolviert und nun den Defizitbescheid einer deutschen Behörde erhalten? Bewirb Dich hier für unseren 6-monatigen Anpassungskurs!
Also erstmal weiß ich, dass es ohne internationales Recruiting einfach nicht geht. Die Versorgungslücke in Deutschland ist so groß, dass Gesundheitseinrichtungen gezwungen sind, aus dem Ausland zu rekrutieren. Meine Arbeit ist also sehr sinnvoll.
Auch wenn es Ausfälle und Abbrecher*innen gibt: Jede einzelne Person, die im Unternehmen bleibt, ist ein Gewinn für uns. Und schon deswegen lohnt es sich, zu kämpfen! Ich lasse mich nicht entmutigen und habe eine große Hochachtung vor jedem, der diesen Beruf ausübt und bei uns bleibt, trotz Stress und Schichtdienst.
Mein Ziel ist es, jede Person, die ich betreue, an ihr persönliches Ziel zu führen. Diese Herausforderung macht mir Spaß, mein Sportlercharakter kommt da durch. Und die positiven Beispiele bauen mich auf: wenn jemand meine Ratschläge umsetzt und ich das Gefühl habe, da geht es voran.
Mein Vertrag wurde gerade bis Ende 2024 verlängert, so lange mache ich auf jeden Fall weiter! Daneben verfolge ich viele weitere Interessen. Ich mache zum Beispiel Sport und schreibe ein Buch.
Von Frühjahr bis Herbst verbringen meine Frau und ich drei von vier Wochenenden im Monat in Italien. Ich habe ja Freitag bis Sonntag frei und zusätzlich Urlaubsanspruch. Der Flug nach Neapel dauert nur zwei Stunden. Wir reisen ohne Gepäck, weil wir auf Capri eine komplett ausgestattete zweite Heimat haben. Wir setzen mit dem Boot über, trinken einen Kaffee an der Piazza, kommen in unserer Wohnung an, lassen frische Luft rein und können sofort entspannen. Weihnachten haben wir gerade mit 80 Angehörigen in einem Restaurant gefeiert, das einem Verwandten gehört und das aber außerhalb der Saison geschlossen hat.
Ich kann mich nicht beklagen, viele Menschen träumen von so einem Leben. Meine Frau ist auch happy, sie sieht mich viel ausgeglichener, seit ich eine sinnvolle Aufgabe habe. In meinem Bekanntenkreis sind viele Ruheständler neidisch, der eine oder andere streckt jetzt auch die Fühler nach einem Job aus.
Interview: DRK Kliniken Berlin / Maja Roedenbeck Schäfer
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