Unsere Anästhesistin Nadia Schapiro wurde in Moskau geboren und hat ihren Berufseinstieg in Israel erlebt. Später ist sie mit ihrer Familie nach Berlin gezogen. Sie hat sechs Kinder und arbeitet seit 12 Jahren in der Anästhesie und auf der Intensivstation der DRK Kliniken Berlin Westend, inzwischen als Leitende Anästhesistin im Kreißsaal. In unserem Karriereblog erzählt die praktizierende Jüdin, warum sie von unserem Kreißsaal „komplett begeistert“ ist und was für jüdische Mitarbeitende in einem Unternehmen wichtig ist, um ihre Religion mit der Arbeit zu vereinbaren.
Damals vor 20 Jahren habe ich im Medizinstudium wenig über die Anästhesie gelernt. Bei einer Hospitation in einer Klinik wurde mir ein Mentor zugeteilt, der Anästhesist war, und über diese persönliche Begegnung kam ich mit dem Fach in Berührung.
Meine Facharztweiterbildung habe ich in der Charité, auf dem Campus Benjamin Franklin, gemacht und bin zur Kreißsaal-Rotation in die DRK Kliniken Berlin Westend gekommen. Nach den acht Wochen war ich komplett begeistert – von diesem Krankenhaus, dem Konzept im Kreißsaal, dem Arbeitsklima. Kurz vor der Facharztprüfung habe ich eine Stelle bei den DRK Kliniken Berlin Westend bekommen und nach einigen Jahren wurde ich gefragt, ob ich leitende Aufgaben für die geburtshilfliche Anästhesie übernehmen möchte, weil die Vorgängerin ausschied. Eine sehr glückliche Fügung, denn ich habe genau das bekommen, was ich schon immer machen wollte.
Wir gewinnen auf diesem Wege übrigens häufig neue Ärzt*innen. Es gibt eine Kooperation, im Rahmen derer Weiterbildungsassistenten aus den DRK Kliniken Berlin Westend für ihre Praxisphase in der Neurochirurgie zum Campus Benjamin Franklin entsandt werden und umgekehrt Weiterbildungsassistent*innen für die Rotation in die geburtshilfliche Anästhesie zu uns kommen. Einige bleiben anschließend bei uns.
Wir gehören mit 2.500 bis 2.700 Geburten im Jahr zu den größten Kreißsälen der Hauptstadt, da ist immer viel los! Bei uns arbeiten die Hebammen sehr selbstständig und leiten normale Geburten ohne ärztliche Unterstützung. Das Team ist sehr jung, denn wir beschäftigen Hebammenstudentinnen von der Ev. Hochschule Berlin.
Unsere große Stärke ist auch, dass wir 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche einen eigenen Anästhesisten nur für den Kreißsaal haben, dadurch müssen die Frauen nicht so lange auf ihre PDA (Periduralanästhesie zur Schmerzbetäubung während der Wehen) warten. Wir bieten eine gute Ausbildung, man lernt sehr viel. Außerdem betreuen wir relativ viele Kaiserschnitte, die meisten medizinisch indiziert. Frauen kommen aus dem Fertility Center auf unserem Gelände als Risikoschwangerschaften zu uns und als Level 1-Krankenhaus betreuen wir auch Frühgeburten, dadurch kommt es auch häufiger mal zu einem Kaiserschnitt.
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Es gibt kaum Wissen über die Belange jüdischer Mitarbeiter*innen. Genauso wie es in vielen Unternehmen Weihnachtsgrüße der Geschäftsführung an die Mitarbeitenden gibt, freuen wir uns zum Beispiel über Grüße zum Pessachfest oder zum Chanukka-Fest. Wobei das Pessachfest für uns wichtiger ist, auch wenn es eher im Privaten gefeiert wird. Das Chanukka-Fest ist einfach nur bekannter, weil es mit den Lichtern so schön aussieht.
Alle Ruhetage (Sonntag) und Feiertage (wie Ostern) sind im deutschen Arbeitsalltag auf das Christentum ausgerichtet. Doch praktizierenden Jüdinnen und Juden ist es wichtig, am Samstag, den wir Schabbat nennen, nicht zu arbeiten. Wir haben ein Gebot, den Schabbat zu heiligen, und ein Verbot, am Schabbat zu arbeiten. An diesem Tag kommt die Familie zusammen, wir nehmen zwei feierliche Mahlzeiten ein und gehen zusammen in die Synagoge.
Da wir eine große Anästhesieabteilung mit rund 80 ärztlichen Mitarbeitenden sind, ist es eigentlich kein Problem, mir den Samstag frei zu halten. Jede*r Mitarbeiter*in weiß, dass ich praktizierende Jüdin bin. Und ich leiste meine Dienste eben an Sonntagen. In einer kleineren Abteilung wäre das vielleicht schwieriger. Für die jüdischen Feiertage kann ich mir natürlich Urlaub nehmen, aber dafür muss ich die Hälfte meines Erholungsurlaubs verwenden. Ich würde sehr gerne an allen christlichen Feiertagen arbeiten, wenn ich dafür die jüdischen Feiertage frei bekäme, ohne Urlaub nehmen zu müssen.
Für meine medizinischen Fortbildungen fahre ich oft nach England, in die Schweiz oder nach Österreich, weil in Deutschland die meisten Fortbildungen am Samstag stattfinden. Ich habe sogar schon bei Weiterbildungsinstituten angefragt, doch sie beharren darauf, dass der Samstag für die meisten Teilnehmer*innen ideal sei. Warum sind andere Länder da weiter?
Nein, Frauen sind im Judentum weitgehend von den täglichen Gebeten zu festen Zeiten befreit. Wir tragen eine Haarbedeckung, denn im Judentum bedecken die Männer ihren Kopf mit der Kippa und die verheirateten Frauen ihr Haar. Die Haarbedeckung auch außerhalb des OPs tragen zu dürfen, wünschen wir uns von unserem Arbeitgeber.
Ein Thema ist auch das koschere Essen. In vielen Kantinen bekommt man es nicht. Bei Veranstaltungen gibt es selten koscheren Wein. Das könnte man leicht ändern, es gibt viele Fachgeschäften für koschere Lebensmittel in Berlin.
Für die jüdischen Gebärenden im Kreißsaal und auf der Wochenbettstation ist das Thema Essen auch wichtig. Wir stellen ihnen einen extra Kühlschrank ins Zimmer, in dem sie ihre koscheren Lebensmittel lagern können, die sie sich allerdings selbst mitbringen müssen. Es gibt hier in Charlottenburg-Wilmersdorf eine große jüdische Gemeinde, daher betreuen wir recht häufig jüdische Gebärende im Kreißsaal und ich kann dabei unterstützten, dass ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden. Sie wünschen sich meist, ähnlich wie Muslimas, dass sie wenn möglich nicht von männlichem Personal betreut werden.
Du möchtest als Hebamme mit Nadia zusammenarbeiten? Wir suchen bei den DRK Kliniken Berlin Westend Unterstützung in unserem Kreißsaal. Bewirb Dich jetzt!
Toleranz ist ein schlechtes Wort, um das auszudrücken, was ich mir wünsche. Denn semantisch bedeutet es „Duldung“. Also: Ich toleriere (dulde) Dich, obwohl Du anders bist, weil ich so nett bin. Das ist eigentlich genau das Gegenteil von dem, was Toleranz eigentlich bedeuten soll. Akzeptanz und Inklusion wären bessere Begriffe.
Meine Sorge ist, dass „Toleranz“ und Diversity zu Modeerscheinungen verkommen. Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern ein gutes und sicheres Land und Berlin ist in Sachen Vielfalt weiter als andere Orte in Deutschland. Trotzdem gibt es noch viel zu tun. Ich wünsche mir, dass die Arbeitsorganisation in unserem Land auf allen Ebenen die notwendige Flexibilität ermöglicht, um allen Mitarbeiter*innen die selben fairen Möglichkeiten zu bieten.
Ich kenne übrigens nur zwei andere jüdische Kollegen bei den DRK Kliniken Berlin. Sie arbeiten auch bei uns im Kreißsaal. Vielleicht lässt sich das mit diesem Interview ändern. Wer an einem Austausch interessiert ist, kann sich gerne bei mir melden!
Meine Kinder sind jetzt zwischen 6 und 22 Jahre alt. Ihr Vater ist kein Arzt, sondern hat einen Bürojob, sodass es am Wochenende nie ein Betreuungsproblem gab. Wir haben außerdem seit 20 Jahren immer ein oder zwei Au-pairs bei uns wohnen. Das waren viele liebe Mädchen, zu denen immer noch enge Beziehungen bestehen. Sie besuchen uns oder schicken uns Bilder, wenn sie selbst Kinder bekommen.
Au-pairs sind eine große Hilfe, aber gleichzeitig übernimmt man auch Verantwortung für sie. Letztendlich ist es ein weiterer junger Mensch in der Familie, auf den man aufpassen muss und den man fördern muss, weil er seine Ziele erreichen will.
Meine Kinder finden meine Arbeit auf jeden Fall toll. Seit drei Jahren darf ich als Notärztin bei der DRF Luftrettung im Hubschrauber mitfliegen. Das war ein richtiger „Stolz Booster“ für sie. Sie kennen keine andere Frau, die in roten Hubschraubern fliegt!
Text: DRK Kliniken Berlin / Maja Schäfer
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